In zwei, drei Wochen, so scheint es, wird auch in der Urschweiz einheimischer oder wenigstens Badischer Spargel angeboten werden und mein Spargelherz dabei ganz heftig schlagen! Deshalb mache ich mir noch ein paar nachträgliche Gedanken zu den vergangenen Wochen.
Dieser Winter, der keiner war, liess meine kulinarischen Frühlingsgefühle bereits Mitte Februar hochköcheln. Wie toll wäre es, jetzt so eine feine Spargelquiche zu backen oder ein himmlisches Erdbeerdessert zu zaubern? Aber um die Fasnacht rum war definitiv weder Spargel- noch Erdbeerzeit.
Weisser Peru-Spargel und grüner Mexiko-Spargel
Wenige Tage später wurde ich eines Besseren belehrt: Ein Grossverteiler lenkte meinen Blick beim Eintreten in den Laden gekonnt auf verlockend rote, marokkanische Beeren im Ein-Kilo-Kistchen. Der Preis? Knapp gleich viel wie im Mai – für ein Körbchen von 250 Gramm Schweizer Erdbeeren. Ein anderer Grossverteiler appellierte hartnäckig an den Spargelgourmet in mir und bot wunderbar weissen Peru-Spargel und knackig grünen Mexiko-Spargel an. Der Preis? Weniger als im Mai ein Bund einheimischer Edelstangen mit dem halben Gewicht.
Kollegin Rita staunte über meine Entrüstung ob der saisonalen Fehlangebote: «Diese Erdbeeren schmecken und sie kosten doch viel weniger als die sauteuren Schweizer Beeren. Was regst Du Dich auf? Ich habe Lust auf Spargel, er ist zu einem erschwinglichen Preis erhältlich, also kaufe ich ihn.»
Zwei Tage später machten mir die beiden Grossverteiler über ihre Hauszeitschriften und auf den Online-Plattformen klar, dass ich unsozial sei, wenn ich mich dem winterlichen Spargeltrend verweigere. Denn in Peru würden alleine dank Spargelanbau und -verarbeitung einer einzigen Firma 90’000 [sic] Arbeitsplätze geschaffen und in der strukturschwachen Küstenregion so die Landflucht eingedämmt.
Die Verantwortung des Konsumenten
Ich wurde aufgeklärt über meine Verantwortung der mexikanischen Landbevölkerung gegenüber: Nur dank der Intervention und Aufklärung vor Ort durch die Grossverteiler und natürlich deren Teilnahme am BSCI (Business Social Compliance Initiative) würden die gesetzlichen Mindestlöhne bezahlt und korrekte Arbeitszeiten eingehalten. Ich habe also die Gewissheit, dass diese Spargeln unter menschenwürdigen und zeitgemässen Arbeitsbedingungen produziert werden. Ja, man lobt sogar die eigene Bereitschaft, gerechte Preise zu bezahlen. Ach so, daher die unglaublich günstigen Preise!
Übrigens ist in Südamerika von Januar bis Mai Spargelzeit und in Spanien und Marokko haben zu derselben Zeit die Erdbeeren Hochsaison. In der Schweiz beginnt die entsprechende Saison fast ein Vierteljahr später. Aber das spielt ja keine Rolle, denn mir ist jetzt klar, dass die Saison dann stattfindet, wenn mir das Gemüse im Ladenregal angeboten wird. Praktisch, irgendwo auf der Welt ist immer gerade Saison für etwas, das bei uns gerade nicht erhältlich wäre. Was soll’s!
Und wo bleibt die Umwelt?
Und muss ich mir jetzt noch Gedanken darüber machen, wie die CO2-Bilanz ausfällt? Sicher nicht, denn der eine Anbieter teilt vorsorglich mit, dass er den Schadstoffausstoss voll-umfänglich kompensiere. Leider vergisst er zu erwähnen wie. Auch der andere ist bemüht, die Bilanz zu optimieren, mit der Entwicklung neuer Verpackungen, die sich besser für den Transport per Flugzeug eignen sollen. Mein Gewissen kann ich also beruhigen und darüber hinwegsehen.
Apropos Gewissen: Rita bezeichnet mich als moralinsauer. Ich könne doch einem armen marokkanischen Landmann kein anständiges Einkommen verwehren. Himmel nein, das ist wirklich nicht meine Absicht. Aber verwirrt bin ich trotzdem: Ich soll, fern der Saison, Früchte und Gemüse kaufen, um auf der anderen Hälfte der Erdkugel Arbeitsstellen zu schaffen. Unsere einheimischen Produkte sind zwar teurer, und zwar dann, wenn sie Saison haben. Aber die Schweizer Bauern benötigen Unterstützung von ausländischen Erntehelfern, also billigen Arbeitskräften. Und wir Mitteleuropäer wünschen uns bedingungslos tolle Löhne. Wer bezahlt also tolle Löhne und verlangt nichts für das Produkt? Doch nicht etwa die Grosskonzerne, die völlig selbstlos die armen Marokkaner, Peruaner und Mexikaner unterstützen?
Meinen inneren Konflikt löste ich schliesslich gut schweizerisch und entschied mich für das Bewährte: Ich köchelte mir also Ende Februar eine Seelenwärmersuppe aus Sellerie vom Bauern im Nachbardorf.
PS.
In dieser bitterkalten Nacht träumte ich mich auf ein Feld im Berner Seeland. Plötzlich stolperte ich, stürzte erst ins Bodenlose, landete dann beim Grossverteiler in einem Erdbeerkörbchen. Herr M. und Frau C. schlugen mit Spargelstangen auf mich ein und riefen immer wieder: „Die Konsumenten wollen das, die Konsumenten zwingen uns, die Konsumenten, die Konsumenten…“. Es wurde dunkel und ich landete wieder auf dem Feld, aber es war Frühling. Der milde Maiwind verfing sich in meinem Haar und säuselte etwas von wunderbarem Spargelquiche und fruchtigem Erdbeersalat in mein Ohr.