Auf der Suche nach der verlorenen Zeit…
„… Sie ließ daraufhin eines jener dicklichen, ovalen Sandtörtchen holen, die man ‚Petites Madeleines‘ nennt und die aussehen, als habe man als Form dafür die gefächerte Schale einer Jakobs-Muschel benutzt. Gleich darauf führte ich, ohne mir etwas dabei zu denken, doch bedrückt über den trüben Tag und die Aussicht auf ein trauriges Morgen, einen Löffel Tee mit einem aufgeweichten kleinen Stück Madeleine darin an die Lippen. In der Sekunde nun, da dieser mit den Gebäckkrümeln gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. Es hatte mir mit einem Schlag, die die Liebe, die Wechselfälle des Lebens gleichgültig werden lassen, seine Katastrophen ungefährlich, seine Kürze imaginär, und es erfüllte mich mit einer köstlichen Essenz; oder vielmehr: diese Essenz war nicht in mir, ich war sie selbst. Ich hatte aufgehört, mich mittelmäßig, zufallsbedingt, sterblich zu fühlen…“
Sogar mit einem kräftigeren Apéritif
Man muss nicht Proust gelesen haben, um zu wissen, dass Madeleines glücklich machen – besonders zu Tee. Marcel Proust liebte die Teatime im Ritz. Er war dort Stammgast und machte die französischen Madeleines unsterblich: In seinem Epos „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ widmet er dem Rührteiggebäck stolze fünf Seiten.
Dieses „Nationalgebäck“ Frankreichs passt aber nicht nur zu Tee. Die Madeleines, für mich das französische Feingebäck schlechthin – eignen sich auch hervorragend als Begleitung zu heisser Schokolade oder einem feinen Kaffee. Und in der pikanten Version ist eine Liaison mit Champagne (naja, es ist ein französisches Gebäck!) oder einem leichten Weinaperitif einfach nur köstlich. Ich mag sie als kleine Apérohappen – auch gefüllt – und bin der Überzeugung, dass sie sich mit einem guten Glas Wein oder sogar mit einem kräftigeren Apéritif immer sehr gut vertragen.
Sie hat grad eben ein vielversprechendes Apfel-Vanille-Madeleines mit brauner Butter-Rezept verbloggt. Und so nebenbei grad auch meine Madeleines-Meinung kundgetan. Bei La tartine gourmande, einem meiner englischen Lieblingsblogs, sind Matcha-Tee-Madeleines zu finden.
Ein schlichtes, aber sehr feines Madeleine-Rezept ist bei Papilles et Pupilles zu finden. So auch hier für eine wunderbar pikante Ausführung oder hier mit Käse und Gewürzen (und es gäbe noch viele aufzuzählen). Überhaupt, in französischsprachigen Blogs sind die Madeleines allgegenwärtig. Vielleicht sind sie so etwas wie das französische Pendant zu den Muffins oder Cupcakes?
Eine Fülle ganz ungewohnter, neuer Rezepte
Auf jeden Fall lohnt es sich, in den Rezepten zu stöbern und sich mal durch die eigenen Bücher zu arbeiten. Bei unserer letzten Reise nach Paris (ohne Teatime im Ritz) habe ich, nebst einigen wahnsinnig wichtigen, ja überlebensnotwendigen „Küchendingern“ (O-Ton Göttergatte) auch zwei Madeleines-Bleche und, gezwungenermassen, auch zwei Madeleines-Backbücher erstanden.
Das Büchlein „Les Madeleines“ aus der SAEP-Verlagsreihe „Charlotte est une gourmande“ hatte ich schon beinahe vergessen – völlig zu Unrecht! Es bietet nebst schlichten, aber einfach umwerfenden, auch eine Fülle ganz ungewohnter, neuer Rezepte. Die Basistipps helfen auch einem Amateur, feine Madeleines zu zaubern. Ich reiche deshalb dieses Rezept beim November DKduW-Event ein.
Aber Achtung: Verächter von Anis, Pastis, Ouzo, Fenchel etc. Finger weg. Für alle anderen – hier ist es, ein Anis-Gebäck – nur für Liebhaber! Denn ganz bestimmt werden diese ein kleines Glücksgefühl à la Proust nachempfinden. Nun ja, vielleicht nicht gerade fünf Seiten lang…!
Übrigens:
Proust ist ein bisschen wie Hesse – als Teenie hat man noch „Narziss und Goldmund“ verschlungen oder auf Französisch eben Prousts „Der Weg zu Swann“ oder „Le Château de ma Mère“. Dann wendet man sich einige Zeit ab, weil man doch sicher nicht so furchtbar romantisch sein will. Viel später plötzlich entdeckt man, dass die Herren doch buchstäblich ganz andere Seiten haben und diese Seiten zu lesen, eigentlich mal wieder ganz schön wäre – mit oder ohne Madeleines und Tee.
Jetzt aber genug der opulenten Abschweifungen!
Apropos Abschweifungen: Nur, damit wir es nicht vergessen, in ungefähr sechseinhalb Monaten gibt es wieder Erdbeeren! Und Anisgebäck passt hervorragend dazu! Und im Winter passt Anis sowieso! Im Sommer eignet sich Anis auch … Ist jetzt jemand aufgefallen, dass ich Anis mag?
Die Glasur ist hier beim ersten Mal etwas dick geraten, war aber nicht minder fein. Auch wenn das Auge nicht ganz so begeistert war. Sie muss etwas feiner aufgetragen werden. Kann auch einfach ganz weiss sein, wenn man das ganz originale Rezept befolgt. Oder man ersetzt Wasser und Anissamen durch einen Anislikör oder -Schnaps… Und für diejenigen, die es ganz und gar nicht mögen, wenn es süss und/oder mit Anisgeschmack ist, die könnten die Glasur durchaus weglassen. (Beim zweiten Mal waren die Madeleines weg, bevor die Fotokamera bei Tische war).
Aber immerhin bin ich ganz stolz darauf, dass sie wunderschön in der Form waren.
========== REZKONV-Rezept – RezkonvSuite v1.4
Titel: Madeleines à l’anis
Kategorien: Kleingebäck, Madeleines, Frankreich, Gewürze
Menge: 1 8-er Madeleines-Blech
40 Gramm Butter
60 Gramm Mehl
1 Teel. Kartoffelstärke
1/2 Teel. Backpulver
20 Gramm Anis, im Cutter fein gemahlen oder gemörsert
20 Gramm Puderzucker
1 Ei
1 Prise Salz
============================ GLASUR ============================
20-30 Gramm Puderzucker
Anisapéritif wie Pastis, Ouzo o.ä
1 Essl. Wasser
Evtl. einige Anissamen, zerstossen
============================ QUELLE ============================
adaptiert nach „Les Madeleines“ – Verlag SAEP
— Erfasst *RK* 28.10.2011 von
— Marie-Isabelle Bill
Mehl und Kartoffelstärke zusammen mit dem Backpulver in eine Schüssel sieben.
Butter erwärmen, bis sie flüssig ist; leicht abkühlen lassen bis sie noch lauwarm ist.
In der Zwischenzeit die Anissamen im Cutter fein mahlen oder im Mörser fein zerstossen. Die Hälfte für die Glasur beiseite stellen.
Die andere Hälfte zusammen mit dem Puderzucker, dem Ei und dem Salz schaumig-crèmig aufschlagen (ca 5 Min. mit dem Mixer). Nun in die Mehl-Kartoffelmehl-Mischung geben, unterziehen und am Schluss die lauwarme Butter einrühren. Mit Folie abgedeckt 1 Stunde ruhen lassen.
Das Madeleines-Blech gut buttern! Kalt stellen. Den Backofen auf ca 170-180 Grad vorheizen.
Mit Hilfe eines Löffels den Teig in die Madeleines-Vertiefungen geben. Schön verstreichen und dann sofort in Backofen geben und zwischen 8 und 10 Min. backen. Überwachen, die Madeleines dürfen nicht zu dunkel werden, weil sie sonst zu trocken sind. Vorsichtig noch warm aus der Form heben (evtl. klopfen) und auf einem Gitter auskühlen lassen.
Für die Glasur in einer kleinen Schüssel Puderzucker und die zweite Hälfte der fein gemahlenen Anissamen vermischen. Dann das Wasser beigeben und so viel Anisaperitiv unter ständigem Rühren zugiessen, bis die Konsistenz zähflüssig streichbar ist. Die gewölbte Seite der Madeleines damit überziehen und auf einem Gitter trocknen lassen.
BILLI: Grandioses Anisgebäck – einfach super! Feines würziges Gebäck, das noch am selben Tag genossen werden sollte! Trocknet schnell aus. Glasur evtl. ohne Anissamen machen, sie bleibt dann weiss. Geht absolut auch ohne Glasur
Das Originalrezept heisst „Madeleines aux anis de Flavigny“ und es werden die entsprechenden Anisbonbons mit leichtem Orangenblütengeschmack fein gemahlen und verwendet. Anstelle dieser Bonbons habe ich die Anissamen verwendet.
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